Mit einer leichten Bewegung der Finne schiebt sich das zwei Meter lange Tier auf das Mädchen zu. Ganz dicht kommt der Kiefer mit den spitzen Zähnen dem Blondschopf, dessen Haare auf der Wasseroberfläche treiben wie feinster Tang. Durch den Schnorchel zieht das Mädchen hörbar die Luft ein. Durch ihre Tauchbrille beobachtet sie den Streifendelfin aus nächster Nähe. Oder ist es eher umgekehrt? Ist der Meeressäuger gekommen, um die seltsamen Wesen mit den merkwürdigen Flossen zu betrachten? So genau weiß das keiner. „Es ist wohl ein gegenseitiges Bestaunen“, meint Isabelle Fremont, die die Szene vom Boot aus betrachtet. Rund ein Dutzend Streifendelfine zerschneidet mit ihren Rückenflosse backbords das kaum bewegte Wasser, während acht Schnorchler mitten zwischen ihnen im Wasser liegen. Wie alle Delfine sind die Streifendelfine geniale Schwimmer, wahre Unterwassergeschosse. Der Spindelförmige Körper bringt es auf bis zu 50 km/h. Viel schneller als die Cala Rossa. „Die könnten uns locker davon schwimmen, trotz unserer 740 PS“, lacht Isabelle. Sie steht auf der Flybridge der Motoryacht, und ist sichtlich zufrieden. Wenn ihre Gäste eine tolle Begegnung mit Delfinen haben, dann hat sie ihr Ziel erreicht. Seit acht Jahren spürt sie Meeressäuger auf, mit denen ihre Gäste von der Cala Rossa aus schnorcheln können. „Wir spüren die Delphine und Wale mit Hilfe eines Suchflugzeuges auf“, erklärt Isabelle. „Sie bevorzugen bestimmte Strömungen, in denen sie ihr Nahrung finden.“ Hilfreich sind auch Hinweise von Fischern – nicht nur bei der Suche nach Delfinen. „Am tollsten war die Begegnung mit einer der seltenen Lederschildkröten, die mit bis zu zweieinhalb Metern und 700 kg größte Schildkrötenart, und der Gesang eines Grindwals, der neben dem Boot auftauchte und mit weit herausgestrecktem Kopf ein Walständchen darbot.“
Das Seegebiet zwischen der Cote d’Azur, dem italienischen Stiefel und Sardinien ist eine der artenreichsten Meeresregionen der Welt. Um diesen maritimen Schatz zu bewahren, wurde ein 87 000 km2 großes Meeresschutzgebiet eingerichtet – das Sanctuaire Pélagos. Experten schätzen, dass rund 10 % aller marinen Pflanzen- und Tierarten hier vorkommen, darunter ein Dutzend Walarten, etwa der Finnwal, das zweitgrößte Lebewesen auf der Erde. Bei Ausfahrten, wie sie Isabelle anbietet, kann man neben dem häufigen Streifendelfin auch den Gemeinen Delfin, Rundkopfdelfine und Große Tümmler aus der Nähe beobachten. Begegnungen mit Meeresschildkröten und Cuvier-Schnabelwal sind seltener. Mit Glück trifft man auch auf Zwergwal, Rauzahndelfin und Schwertwal.
Manchmal lassen sich Wale sogar von Land aus beobachten. Pierre Gilles vom Musée Océanographique de Monaco weiß, warum das so ist: „Die Küste vor Monaco fällt steil ab, so dass schnell große Wassertiefen erreicht werden. Aufsteigendes nährstoffreiches Tiefenwasser ist die Grundlage für ein reiches Nahrungsangebot, das die Wale anlockt.“ Regelmäßig versammeln sich deshalb auch die Finnwale im Sommer vor der Küste, um ihren Nachwuchs zur Welt zu bringen. Der Gründer des weltbekannten Institutes, Prinz Albert I soll einmal gesagt haben, „Der Platz, von dem ich am meisten Wale gesehen habe, ist mein Büro.“
Auch aus dem Arbeitszimmer von Pierre Gilles, einem auf Aquakulturen spezialisierten Agraringenieur, der für die Aquarien des Musée Océanographique de Monaco verantwortlich ist, hat man einen herrlichen Blick auf das azurblaue Meer. Der altehrwürdige Institutsbau thront auf den Klippenfelsen von Monaco. „Es ist wunderbar hier zu arbeiten. Aber das Meer ist leider nicht mehr dasselbe wie zur Zeit von Fürst Albert I, der das Institut 1889 gründete“, meint Pierre. Der monegassische Fürst war begeistert vom Leben unter den Wogen und unternahm meereskundliche Expeditionen. Nicht umsonst nannte man ihn den prince navigateur. Seine gesammelten Erinnerungs- und Forschungsstücke wollte er seinen Bürgern in einem eleganten Museum präsentieren, das er dafür errichten ließ. Den maritimen Prinzen würde es wohl sehr schmerzen, wenn er noch sehen könnte, wie sein geliebtes Meer heute durch die übermäßige Besiedelung der Küste leiden muss. Die einstmals so imposante Küste hat viel verloren, und die Abwässer, der Schmutz und Abfall der Menschenmassen bedrohen auch das Leben unter Wasser.
Den ganzen Bericht lesen Sie in Skipper 01/2013