Die Havel – von der Quelle bis zur Mündung
Die Havel ist ein aufregender Fluss. Nicht nur, weil sie aus der Reihe tanzt. Sie fließt von Nord nach Süd, wie sonst kein norddeutsches Gewässer. Reizend ist vor allem die Ménage-à-trois zwischen Mecklenburg, Brandenburg und Berlin.
Es gibt Crews, die nehmen sich die Havel für ein Vierteljahr oder sogar sechs Monate vor. Pensionierte Schweizer, passionierte Holländer oder das pedantische, deutsche Rentnerehepaar aus der Pfalz. Man trifft sie früher oder später alle an einem der rund 100 Anleger längs der Havel und bekommt ihrem Flussgeschichten zu hören.
Wer nur eine oder zwei Wochen Zeit hat, mietet sich bei einem der Vermieter der Mecklenburgischen Seenplatte eine passende Motoryacht. Für weite Teile der Havel ist noch nicht einmal ein Bootsführerschein notwendig. Eine dreistündige Einweisung des Vermieters ersetzt die Fahrschule. Yachtcharter Römer hat zwei Häfen in diesem Revier und stellte für unsere Haveltour die »Nice Day«, eine Pedro Skiron 35 – der Klassiker unter den Tourenyachten. Der holländische Stahlverdränger misst elf laufende Meter und hat zwei große Doppelbettkabinen – ideal für eine Tour unter befreundeten Paaren oder die deutsche Durchschnittsfamilie.
Bis nach Neustrelitz sind es von Römers Häfen – Buchholz am Müritzsee und Mildenberg an der Oberhavel – jeweils etwa zehn Nettofahrstunden. Die Tour bis in die einstige Residenzstadt der Großherzöge von Mecklenburg-Strelitz lohnt schon wegen des restaurierten Stadthafens. Als einstiger Umschlagplatz für Ziegel und Waldprodukte ist er von backsteinernen Speicherbauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts umringt.
Die Hafenmeisterei – großzügig und modern angelegt – gibt als Zweigstelle der städtischen Tourist-Information praktische Tipps zur Erkundung der Umgebung und der Residenzstadt, die wegen ihrer Überschaubarkeit an ein Weimar des Nordens erinnert. Leider ist das Schloss abgebrannt. Die Skulpturengalerie in der Schlosskirche gehört zu den Sahnestücken der Mecklenburger Kunstlandschaft. Für einen Stadtbummel lockt die im 17. Jh. angelegte Planstadt rund um den zentralen Stern, wo die barocken und klassizistischen Straßenzüge zusammenlaufen. Nach einem Eis im Café Kowalewski am Markt könnte man den Aufstieg zur Stadtkirche wagen. Von dort oben reicht der Blick weit hinein in die Mecklenburgische Kleinseenplatte nach Westen bis zum Mirower Schloss. Im Osten grenzen ganz nah die alten Buchwälder rund um das Walddorf Serrahn. Sie liegen in der Kernzone des Müritz-Nationalparks und gehören sogar zum Unesco-Weltnaturerbe. Insbesondere im Herbst ist der dann bunt gefärbte Buchen-Urwald auch eine lange Anreise wert. Vom Berliner Hauptbahnhof sind es nur etwas mehr als 60 Minuten.
Die Schlossinsel Mirow ist gerade aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Wer in Neustrelitz in den kleinen Schienenbus der Potsdamer Eisenbahngesellschaft umsteigt, kann sogar ohne Boot schnell mal das Kleinod in Mirow besuchen. Es liegt nur 30 herrliche Minuten auf einer Trasse durch das Traumzauberland der 1.000 Seen entfernt. Der Fahrdienstleiter muss einmal sogar aus dem Zug steigen, um die Bahnschranken an einem Feldweg selbst herunterzukurbeln und es kommt vor, dass ein Dutzend Hirsche im Trupp den Schienenstrang im Wald kreuzen. Über den Wasserweg, die Havel-Müritz-Wasserstraße, via Strasen und Kleinzerlang, kann Mirow ebenfalls an einem Tag erreicht werden. Das Schloss Mirow, einstige Strelitzer Nebenresidenz, wurde im Juni nach 20-jähriger Sanierungszeit wiedereröffnet – angemessen für den Geburtsort einer englischen Königin (Sophie Charlotte). Einer der besten Hafenmeister der Seenplatte versieht auf der Schlossinsel seinen Dienst: Ole. Gebürtig aus Karl-Marx-Stadt, hat es ihn ins Herz der Seenplatte verschlagen. Seine sächsische Frohnatur tut den Mecklenburger Alltagsgepflogenheiten ganz gut – was man an den vielen Stammkunden in Mirow ablesen kann.
In Wesenberg, dem nächsten Ziel, gibt es ebenso patente Hafenmeisterinnen und Hafenmeister. Wer in Neustrelitz einen Bummel durch die Geschäfte gemacht hat, bei einem Antiquitätenhändler vielleicht sogar eine Rarität wie einen versilberten Vorlegelöffel aus der Schlossküche ergattern konnte und anschließend im Queerbeet oder im Fürstenhof sehr gut gespeist hat, kann getrost auf den flachen Zirker See hinausfahren, immer schön am Tonnenstrich. Durch die handbetriebene Schleuse Vosswinkel verläuft die Route quer durch den mächtigen Woblitzsee. Nach Norden mündet die Havel aus den Havelquellseen rund um Kratzeburg ein – sie ist noch schiffbar, was für Yachten mit mehr als 60 Zentimetern jedoch riskant ist. Am Westufer des Woblitzsees bieten sich dafür gleich mehrere Gelegenheiten zum Anlegen in der Kleinstadt Wesenberg, die rund um eine mittelalterliche Burg gebaut ist. Direkt zu Füßen des Bergfriedes liegt der parkartig eingebettete Wasserwanderrastplatz. Hier ist das Hafenmeisterpaar gleichzeitig Imbissbetreiber. Täglich mit einem frisch gekochtem Eintopf auf der Herdplatte, oft Gulaschsuppe. Alternativ zum WWR gibt es auch den Fischerhof sowie die Marina Wesen-berg am sogenannten Kammerkanal kurz vor der Schleuse. Die Marina bietet eine Tankstelle und Bootsservice. Ein Hingucker sind die bunten Pfahlhäuser mit Ferienwohnungen direkt am Wasser. Überhaupt wird man durch den Wohnmobilstellplatz mit Blick aufs Wasser und dem Kanusteg auf zahlreiche Touristen treffen. Wesenberg ist das Eingangstor zu einem der schönsten Kanureviere Deutschlands – das Seerosenparadies der Kleinseenplatte. Es gibt leichte Halb- und Ganztagestouren mit Rückholservice der Kanuverleiher, die oft nahe der Havelquelle beim Schliemanndorf Ankershagen enden.
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Text: Robert Tremmel, Fotos: Christin Drühl